Donnerstag, 18. August 2022

Wald oder Wiese - was ist besser?

Der Wald hat eine Lobby, die momentan auch Gehör findet.
Das ist super! Wälder sind super und wir brauchen mehr naturnahe Mischwälder.
Wir merken ja alle, dass wir mit der Natur nicht so wirklich gut umgegangen sind und vor allem nicht zukunftsfähig.
Wir haben die Welt verändert und das auf eine Art, die uns jetzt - Mal vorsichtig ausgedrückt - auf die Füße fällt.
Und zwar so krass, dass der Gegenentwurf, die Sehnsucht der Menschen, ein sehr extremes 'zurück zur Natur' ist.
Da soll doch überall wieder Wald sein. Also außer ein paar kleine Inseln, in denen wir dann wohnen. Wald ist quasi das Synonym für Natur. 
Mich wundert dieser Ansatz, sich da rauszunehmen. Den Menschen nicht als Teil der Natur zu sehen. Und alles so extrem zu vereinfachen und zu beschränken.
Kleiner Rückblick: So gut 10.000 Jahre. Die Eiszeit endet. Viele stellen sich da eine Eiswüste vor. Maximal karge, flechtenbewachsene Tundra. Aber dann kam 'die Natur' in Form von Wäldern. Folge eines natürlichen Klimawandels und hätten wir nicht eingegriffen, hätten wir heute keinen menschengemachten Klimawandel, der in einer sich selbst beschleunigenden Spirale katastrophale Konsequenzen hat. So ist die Vorstellung wohl oft... Eis - Wald - Mensch macht alles kaputt - nun haben wird den Salat!
Also müssen wir zurück zum Urwald? Und zwar überall, wo es irgendwie geht? So einfach ist das nicht, denn schon diese Vorstellung von 'lebensfeindliche Eiswüste wird zu Wäldern' ist falsch.
Was hier zum Ende der Eiszeit war, das waren weite, steppenähnliche Graslandschaften (bzw. oft von Kräutern dominierte Steppen). Mit riesigen Herden großer Pflanzenfresser. Wollnashorn und Mammut und diese Hirsche mit dem unglaublich großen Geweih und viele andere  Wirklich alles voll mit denen! Wie man das von Tierdokus aus Afrika kennt. Nur mit größeren Tieren. 

Diese Steppe war natürlich auch nur ein Übergang. Einen fixen 'Urzustand' gibt es nicht. Die großen Herden haben Bodenleben nach der Eiszeit überhaupt erst möglich gemacht. Sie haben in ihrem Verdauungstrakt die ersten Mikroben bereitgestellt, die Nährstoffe pflanzenverfügbar machen, und sie haben ihren Lebensraum erhalten. 

In diesem Übergangszustand hat sich der Mensch in Mitteleuropa wohl ziemlich wohl gefühlt. So als Jäger und Sammler.
Man sagt gerne, auch mitteleuropäische Touristen würden die Savannen Afrikas deshalb so faszinierend finden, weil sie (weil wir), diese Landschaft als Wiege der Menschheit erkennen. Sie berührt uns.
Es kann aber gut sein, dass wir uns nicht ganz so weit zurückerinnern an den Ursprung der Menschheit sondern an die weiten, offenen Landschaften Mitteleuropas. Die Landschaft, in die wir gut gepasst haben. In der Zeit, kurz bevor der Wald kam, bevor die großen Herden großer Pflanzenfresser verschwanden und wir zu Hirten und Bauern wurden. Dass sie verschwunden sind, ist wohl auch (zumindest teilweise) unsere Schuld aber wir haben versucht, das auszugleichen.
Wie Hervé Bocherens in National Geographic sinngemäß sagt: Es war ein Paradies für Menschen. Das zu verschwinden drohte. Und Adam und Eva haben dieses Paradies mit ihren Weidetieren erhalten. Im Schweiße ihres Angesichts.
Offene Landschaften sind oft extrem artenreich. Nicht nur der Mensch kann dort gut sammeln und jagen, auch eine Vielzahl an Wildtieren.
Einige sind dann auch Kulturfolger geworden. Andere sind eine noch engere Beziehung mit uns eingegangen und wurden ebenfalls domestiziert. Wieder andere blieben zwar mehr oder weniger wild, aber wurden jagdlich gemanaged. Da kann man jetzt an die großen Büffelherden in der Prärie denken. Natürlich hat es einen Einfluss, welche Tiere und wieviele man wann 'entnimmt'.  Oder die Rentierherden, die sehr langsam von jagdlichem Management zu domestizierten Tieren wurden.
Vereinfachung ist hier fehl am Platz. Wenn ein Zaun drumrum ist, ist es menschengemacht und damit automatisch schlecht? Oder: Auch ohne Zaun ist es dann menschlich und damit schlecht, wenn jemand die Tiere als Besitz betrachtet und irgendwann verkauft?  


Menschlich als Gegenteil von Natur ist einerseits überheblich und andererseits machen wir uns selber damit mies. Die Menschheit macht nen Haufen Scheiß, keine Frage! Trotzdem sind wir ein Teil der Natur und haben uns nicht nur unser Paradies geschaffen sondern auch das vieler Tiere und Pflanzen. Jetzt haben wir es kaputtgemacht und müssen das irgendwie wieder hinkriegen!
Wenn ich was bastel, das ganz hübsch ist, und das dann nicht nochmal hinkriege, dann kann ich es bockig in die Ecke werfen, klar. Oder ich lerne das Handwerk - im Schweiße meines Angesichts - und kann irgendwann gezielt das machen, was mir anfangs mehr oder weniger zufällig gelungen ist.

'Was bringt diese oder jene Art Nutzung?' wird heutzutage gerne Mal berechnet. Vor allem in Sachen Klimaschutz. Das berücksichtigt immerhin schon Mal, DASS wir Land nutzen! Macht jedes Tier und jede Pflanze! Wir können das nur besser. 'Besser' im Sinne von: Mit größeren Auswirkungen und mit der Fähigkeit, die Folgen unseres Handelns abzuschätzen. Und genau deshalb sollten wir das wertschätzend, klug, und nachhaltig tun. Und zwar dringend!
Da habe ich jetzt also die Weide mit Rindern. Als Acker könnte ich da wesentlich mehr Kalorien produzieren. Da müsste man jetzt gegenrechnen, wieviel Klimagase jeweils entstehen und welche Ressourcen dafür verbraucht werden. Auf anderen Flächen KANN man keinen Ackerbau betreiben. Da könnte aber Wald stehen und ich kann die jeweilige CO2-Festsetzung gegenüberstellen.
Was ich oft lese ist der Vergleich 'ideal' mit 'normal'. Also der ideale Urwald, Jahrhunderte gewachsen, unberührt wird verglichen mit der durchschnittlichen Weide. Andersrum die extensive Weidehaltung auf beispielsweise alten Prärieflächen mit intensiver Maismonokultur.
Nur kriegen wir weder den Urwald noch die Prärievegetation da so schnell hin.  Urwald klingt gut! Also ziehen wir doch die landwirtschaftliche Fläche so klein wie möglich zusammen, bauen so intensiv wie möglich an und dann haben wir die Kalorien, die wir brauchen, und viel Platz für Urwald!
Ist eine Möglichkeit. Wir nehmen uns nur, was wir brauchen und machen uns so klein wie möglich. Stören so wenig wie möglich. Und da sind wir wieder an dem Punkt: Stören wir wirklich? Können wir nicht anders? Was ist mit der Erschaffung von Paradiesen?
Der Wald hat eine Lobby.
Die Graslandschaften nicht. Aber langsam werden Stimme laut. Das Magazin 'Science' hat dazu eine Reihe Artikel herausgegeben, in denen es um den Wert von 'Grassy biomes' geht.
Und klar: Der englische Rasen ist jetzt nicht das Ideal vom 'grassy biome'. Genausowenig, wie die Fichtenmonokultur das Ideal vom Wald ist.
Aber jeder, der einen Garten hat, weiß, dass man sich ein kleines Paradies schaffen kann. Sich und den Pflanzen und Tieren. UNSER Eden. Das wir nutzen und gestalten. Vieles erben wir, anderes erschaffen wir. Aus dem, was da ist und mit viel Arbeit und Hirnschmalz. 

Sehr empfehlenswert ist der oben sinngemäß zitierte Artikel aus dem National Geographi Magazin.

Ebenso die Artikel über grassy biomes im Science Magazin (die leider nicht alle frei verfügbar sind), auf die sich dieser Artikel beieht: Graslandschaften, die unterschätzten Alleskönner (Der Titel ist leider etwas arg reißerisch!)

Samstag, 13. August 2022

Drake Queens

 „Na, Frau Biologin! Da waren wir wohl gerade Kreide holen, was?“

Ich brauche eine neue Blog-Kategorie für Sachen, die sie uns im Biostudium nicht gesagt haben! (Oder bei denen ich nicht aufgepasst habe …) Wie z.B. das mit der ungeraden Chromosomenzahl bei Hybriden, die deshalb eigentlich keine fruchtbaren Nachkommen haben können. Also das haben sie uns erzählt. Hat wahrscheinlich schon die Grundschullehrerin erzählt: Verschiedene Chromosomenzahl = unfruchtbare Nachkommen.*
Von den Ausnahmen hat keiner erzählt! Da hätte ich jetzt nicht soviel nachlesen und noch mehr nachdenken und aufmalen müssen, um das mit den fruchtbaren Kreuzungen aus Hausschaf (2n=54) und Argali  (2n=56) zu verstehen!

Was sie auch nicht erzählt haben, ist das mit den Enten! Und das weiß sogar mein Nachbar aus der Stadt, der meine weiße Henne für einen „Gockel“ gehalten hat!
OK, der weiß es auch nur, weil ich es ihm gesagt habe, aber jetzt weiß er es! Überhaupt erzähle ich das jetzt jedem:

Erpel ziehen sich im Sommer um! Frauenkleider. Und die Erpellocke werfen sie auch ab!

Egon, Benny und Kjeld im Winter:

Erpel Prachtgefieder
Erpel im Winterkleid

Und die drei Jungs jetzt:

Erpel Sommerkleid
Erpel im Sommerkleid

Vorne (rechts) Egon. Die anderen beiden kann ich nicht mehr auseinanderhalten. 

Ich habe mich nie gefragt, warum man im Sommer eigentlich keine Erpel sieht! „Die sind wohl irgendwo anders“ scheint mir da gereicht zu haben!

So geht man durch die Welt ... mit halbgeschlossenen Augen! So richtig guckt man erst hin, wenn es einen betrifft: Ohoh! Die Erpel kriegen komische Flecken! Und überhaupt - wohin sind all die Erpel verschwunden, mit denen sich die Olsenbande neulich noch um die Vorherschaft in der ‚Hood’ (dem Stück Bach vor'm Haus) gestritten haben? Alle da! Nur in Frauenkleidern als Drake Queens! 

Meine alte Nachbarin, die Hexe, ist solch unerwartetem Erkenntnisgewinn gegenüber viel positiver eingestellt! Die denkt nicht, dass sie das aber hätte wissen sollen. Die sagt: „Ach gucke an! Da hat die Frau Müller (so heißt sie nicht wirklich) wieder was gelernt!” Und dann freut sie sich, dass die Welt immer noch Überraschungen bereit hält!

Egon, Benny und Kjeld fangen übrigens so ganz langsam an, sich wieder ein „Prachtgefieder“anzulegen!



*
Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung gibt jedes Elternteil die Hälfte seiner Chromosomen weiter. Die sind in Paaren organisiert –von jedem Paar eins. Wer vier Chromosomen hat, gibt  zwei weiter. Vom anderen Elternteil auch zwei, macht wieder vier. Wenn das andere Elternteil aber sechs hat, gibt es drei weiter und der Nachkomme hat fünf. Das kann man für die nächste Generation nicht mehr aufteilen. Außerdem sind die Gene meist anders auf die Chromosomen verteilt und da fehlt dann was. Total logisch. Geht nicht. Keine fruchtbaren Nachkommen ist DIE Definition für die Artengrenze. 


Donnerstag, 16. Juni 2022

Handscherkurs 2022 im Harz

Am 25./26.6.2022 gibt es einen Kurs zum Scheren mit der Handschere in Bad Sachsa im Harz.

 

Scheren mit der Handschere macht Spaß aber unabhängig davon gibt noch eine ganz Reihe von Gründen, warum man das als Schafhalter können sollte:
Der Scherer muss kurzfristig absagen und es findet sich kein Ersatz; einige Tiere müssen für die Körung bis zu einem gewissen Termin geschoren sein; man kauft ein ungeschorenes dazu, nachdem der Scherer da war; die Wolle muss aus gesundheitlichen Gründen runter; man möchte unabhängig sein, ...

 

Kursinhalte

Welche Scheren gibt es und welche ist für mich geeignet?


Wie organisiere ich mir die Schur unter meinen Bedingungen? Selbermachen bietet da einiges an Möglichkeiten, um das für sich selber und die Schafe "passend" zu machen.

Wann Scheren?

Und natürlich ausgiebig: WIE schere ich möglichst entspannt für Mensch und Schaf?


Dazu stehen uns nette Shetlandschafe zur Verfügung.

Und natürlich bekommt auch das Thema Wolle Raum! Was habe ich denn da runtergeschoren? Ist das Gartenwolle oder was für Handspinner oder -filzer? Sortieren, aufbewahren, wo und wie anbieten...


Kontakt über die Emailadresse im ersten Photo

 

Freitag, 3. Juni 2022

Pflanzabstände und Anleitungsbefolgungsmentalität

Auf diesen Samentütchen und in Gartenbüchern stehen ja immer Pflanzabstände. Soviel Platz braucht die Pflanze, um genug Licht zu bekommen und ordentlich zu wachsen. Alles klar. Altes Gärtnerwissen, an mich weitergegeben, muss ich die Erfahrungen nicht selber machen.

Nur.... wenn ich die 50cm Abstand zwischen Kohlpflanzen auf 47cm verkürze, dann bekomme ich in die Reihe eine ganze Pflanze mehr rein! Und ich meine.... die wissen doch, dass Leute möglichst viel ins Beet kriegen wollen und dann schlagen die doch was drauf... Oder? Und außerdem: Wenn ich so gucke, dann sind DAS doch mindestens 50cm! Wenn nicht mehr!
Dazu kommt: Wenn sich da hübsche Blümchen ausgesät haben, dann dürfen die natürlich stehen bleiben. Das Auge will ja auch was haben vom Garten!


Wir haben mal eine Anleitung gemacht (nicht fürs Gärtnern), die in mehreren Ländern benutzt wurde. Deutschland, Polen, Großbritannien, USA. Da war es sehr wichtig, dass die Anwender etwas eine Minute lang machen. Alleine, zu Hause. Also stand in der Anleitung: Machen Sie das eine Minute lang.

Die Ergebnisse aus den verschiedenen Ländern haben aber klar gezeigt, dass die gleiche Anleitung ganz unterschiedlich umgesetzt wird!
Dem Deutschen sagste: "Sehr wichtig! EINE Minute!" Dann stellt der sich ne Uhr und wenn die Minute abgelaufen ist, zählt der vorsichtshalber noch 30 Sekunden weiter.
Die polnischen Kollegen haben gelacht und gesagt: "Ja ne! Wenn das wirklich ne Minute sein muss, dann müssen wir mindestens zwei Minuten draufschreiben! Unsere Landsleute fangen an, denken nach wenigen Sekunden, dass jetzt aber mindestens fünf Minuten um sind und legen dann großzügig und weil es ja wichtig ist, eine halbe Sekunde drauf!"
Die polnische Anleitung wurde geändert, die Werte waren top.
Wie das bei den Amerikanern ist, haben wir nicht so richtig rausgefunden. Die Werte haben gezeigt, dass da was falsch läuft aber die US-Kollegen haben sofort gesagt, dass ihre Landsleute ja Amerikaner seien und deshalb ganz automatisch gar nix falsch machen können. Weniger Text, mehr Bilder und ZWEI Minuten hat dann aber was gebracht. Auch bei den Briten, bei denen auf die Frage nach der Mentalität in Bezug auf Anleitungen nur höfliches Schweigen kam.

Bei Pflanzanleitungen bin ich wohl eher polnisch. Ich lese mir das durch. Also wirklich den Text - nicht nur Piktogramme angucken. Und dann schätze ich oder denke "bisserl weniger wird auch reichen!" Und ich frage mich, ob das in Gartenbüchern und auf Samentütchen beachtet wird? Steht in polnischen Gartenbüchern: zwischen Kohlpflanzen mindestens 100cm Abstand?

In britischen Gartenbüchern steht nix anderes als in deutschen. Zumindest nicht in Dig for Victory. Da drin sind die monatlichen Anbauempfehlungen abgedruckt, die die britische Regierung im zweiten Weltkrieg herausgegeben hat, damit jeder möglichst viel eigenes Essen anbauen kann - auch wenn er bisher nur einen Zierrasen und ne Rose im Garten hatte.  


Zusätzlich gibt es Kommentare dazu, was man heute anders macht. Da wird auch mal ein anderer Abstand angegeben aber die wirklich großen Unterschiede zu heute beschränken sich auf die Gifte, die damals eingesetzt wurden. Themen wie Kompost und Förderung von Nützlingen, Erhaltung der Bodengesundheit und ähnliches waren auch damals schon lange bekannt und vielleicht noch wichtiger als heute. Wobei - oder obwohl -  es darum ging, JETZT möglichst viel aus dem Garten herauszuholen. Da stehen also sicherlich keine unnötig großzügigen Abstände drin sondern die, die man für einen maximalen Ertrag braucht.


Montag, 16. Mai 2022

Wann Schafe scheren - der Phänologische Schafkalender

Jahrelang... jedes Jahr wieder... habe ich im Internet Bilder gesehen von einer Skuddenzüchterin, die ihre Schafe mit der Handschere schert. Und jedes Mal dachte ich: Das ist doch vieeel zu früh! Das habe ich nicht nur gedacht sondern auch geschrieben und jedes Mal hat sie mir versichert, die ersten wären da schon so weit gewesen.

Zu früh scheren ist eine Qual! Wolle wächst nicht gleichmäßig sondern hat einen Jahreszyklus. Bei Wildschafen und Haarschafen beinhaltet der einen richtigen Fellwechsel. Bei modernen Rassen (modern in diesem Sinne: Rassen, die so ab dem Mittelalter entstanden sind) und bei alten, primitiven Rassen sieht man mehr oder weniger von diesem Fellwechsel. IN dem Wechsel bzw. ganz kurz davor schert es sich bei manchen Rassen wie durch eine Latexmatratze! Da ist viel Lanolin, Wollschweiß und einzelne Wollhaare, die sich gelöst haben und die Schicht nochmal fester machen.

Über dieser Schicht scheren - also ganz außerhalb des Zyklus - das geht. Machen ja viele, wenn sie die Schafe einstallen. Nur wenn das einmal begonnen hat, dann sollte man MIT der Natur arbeiten. Nicht zu früh!

Mit Claudia (der Skuddenzüchterin, die immer viel früher schert als ich), bin ich darauf gekommen, dass bei ihr alles früher ist. Also alles in der Natur. Alle Zeigerpflanzen, die im phänologischen Kalender die Jahreszeiten anzeigen. Die Zeigerpflanze für Schafschur ist demnach der Holunder! Ihre Schafe und meine sind schurbereit, wenn der Holunder blüht. Vier Wochen später bei mir (Ostsachsen) als bei ihr (Bochumer Ecke). Bei mir blüht da gerade mal der Flieder!


frisch geschoren Skudden unter blühendem Holunder (Bild Claudia Schulte)



Im phänologischen Kalender zeigt die Holunderblüte den Frühsommer an. (Flieder den Vollfrühling).

Viele Leute denken, Schafe würden im Frühjahr geschoren. (Und Frühjahr wäre, sobald die Sonne das erste mal rausguckt). Das stimmt nicht. 

Wir haben in den meisten Jahren in Deutschland eine meteorologische Singularität im Juni. Die Schafskälte. Die so heißt, weil da traditionell die Schafe geschoren wurden und dann in den kühlen Tagen gefroren haben. 

Ich habe für einen Zeitschriftenartikel mal die wissenschaftliche Literatur zum Thema durchsucht. Da gibt es einiges! Neuer und älter. Überwiegend aus Australien und Neuseeland, wo deutlich mehr wissenschaftliches Interesse an Schafen und Wolle besteht. (Bzw. wo mehr Geld dafür ausgegeben wird.) Die Messwerte waren in den verschiedenen Artikeln nicht gleich aber WANN im Jahr die höchsten und niedrigsten Werte erreicht wurden, war sehr ähnlich. 

Da Down Under ja auch die Jahreszeiten Kopf stehen und im September Frühling ist, habe ich mir das übersetzt in Frühjahrestagundnachtgleiche, Sommersonnenwende, usw. Daraus ist eine Graphik entstanden mit Jahreszeit auf der x-Achse und den Werten auf der y-Achse. Die unterschiedlichen Werte habe ich so normalisiert, dass ich Höchstwerte und niedrigste Werte jahreszeitlich einsortiert habe. Die y-Achse hat also keine Einheit und... öhm... ist deshalb ein bisschen "Pfusch"... aber anschaulich. Finde ich...

Wollwechsel im Jahreslauf

 

Dargestellt habe ich den Durchmesser der Wolle und das Längenwachstum. Die Schafe in den Publikationen waren Merinos, Romneys und Wiltshire Horn. Mit Wiltshire Horn (die ihre Wolle selber abwerfen) gab es nur eine Publikation.

Bei allen wird der Faserdurchmesser ab einem Zeitpunkt zwischen Frühjahrestagundnachtgleiche und Sommersonnenwende dünner. (Die Schwankung im  Faserdurchmesser ist laut einer Publikation 70-75% - beim Merino!) Am dünnsten ist er dann zur Herbsttagundnachtgleiche. Ab da muss das Fell gewechselt sein und es wird Zeit, sich einen Winterpelz zuzulegen. Faserdurchmesser und vor allem das Längenwachstum legen jetzt richtig los!

Es ist allerdings nicht nur die Tageslänge, die den Fellwechsel beeinflusst. Direkt verantwortlich ist das Hormon Prolaktin und das wird AUCH von der Tageslänge beeinflusst. Aber zum Beispiel auch durch eine Trächtigkeit. Auch Futter oder eine Änderung im Futter kann eine Rolle spielen (Weideaustrieb) und eben auch "Kleinklima" wie bei den Zeigerpflanzen.

Was das Scheren zur falschen Zeit so schwer macht, ist vor allem die "Abschwitzkante". Die Bildung von viel Lanolin und Wollschweiß wird zu der Zeit des natürlichen Fellwechsels ordentlich angekurbelt. Man kann über dieser Kante scheren oder darunter. Aber nicht darin. Sonst sieht das so aus:

zu früher Scherversuch (ich sag nicht, wer es war...)

Hinten (links im Bild) war die Wolle schon abgewachsen. Vorne keine Chance. Da konnte man nur über der Kante etwas angleichen... (Ich war das nicht! Ich hätte gar nicht erst angefangen! Aber ich hatte die Kamera parat.) So krass ist das nur bei primitiveren Rassen (hier Shetland). Bei solchen mit weniger Fellwechsel kommt man da mit viel Fluchen noch durch.

Schön abgewachsene Wolle mit einer Kante, unter der es sich schneidet wie mit heißem Messer durch Butter, sieht so aus:


Shetlandmix, abgewachsene Wolle

Oder so (Bild von Whiteadder Rare and Native Breeds, @whiteadderwoodlands auf Instagram)

Shetlandschaf, abgewachsene Wolle (Bild Victoria Hedges)

 

Hier noch ein Beispiel mit Skudde. Skudden haben etwas weniger vom Fellwechsel als Shetlandschafe aber ebenfalls eine Abschwitzkante, IN der man nicht freiwillig scheren will aber UNTER der es einfach nur Spaß macht:

Handschur Skudde (an der Schere Saskia Dittgen)

Noch was zum "Abschwitzen": Das kommt vom Wollschweiß. Wollschweiß sind Salze und alkoholische Lanolinbestandteile. Also schon so salzige Ausscheidungen aus der Haut wie unser Schweiß aber Schafe schwitzen nicht so wie wir oder wie Pferde. Also nicht zur Abkühlung bei Hitze oder körperlicher Anstrengung. Die kann man in die Sauna stecken oder Sport machen lassen: Kommt kein extra Schweiß. Der Anteil nimmt aber zur Zeit des (ehemaligen) Fellwechsels zu. Das ist auch öfters mal ein Missverständnis: "Die Schafe müssen abgeschwitzt haben!" wird zu: "Die Schafe müssen geschwitzt haben!" und DAS wird dann so verstanden, dass es zur Schur reicht, wenn den Schafen einmal ordentlich warm geworden ist. Das bedeutet das nicht!

Es macht aber schon einen Unterschied, wie warm es ist und in den Tagen vor der Schur war! Je nach Rasse gibt es viel Lanolin oder wenig, öliges oder festes. Viel festes Lanolin wird geschmeidiger, wenn es warm ist und es lässt sich angenehmer scheren. Das hat aber mit "Abschwitzen" nichts zu tun. Das wird von der Tageslänge gesteuert, von Hormonen und eben auch von der Temperatur. Über eine gewisse Zeit. So wie auch der Holunder "Daten sammelt" und dann blüht, wenn er soweit ist.