Freitag, 1. November 2019

Outrage Porn oder: Wer das teilt, ist doof!

Wir haben ein paar ziemlich dufte Wörter! Kopfkino, Fremdschämen, Verschlimmbessern,...
für "outrage porn" habe ich noch keins gelesen, was so richtig passt... Übersetzt ist das "Empörungspornografie". Vielleicht auch eher "Empörungsgeilheit".
Vielleicht haben wir deshalb kein Wort, weil uns das gar nicht so auffällt....

Wem das noch nicht aufgefallen ist und wer sich jetzt fragt, was DAS denn sein soll:
Outrage Porn gibt es schon lange. Aber mit dem Internet und den sozialen Netzwerken hat es Fahrt aufgenommen: Leser generieren, die voll auf ein Thema abfahren und Beiträge teilen und weitere Leser generieren. Super Sache! Reichweite! Werbeeinnahmen. Influencen.

Wie funktioniert das nun?
Das ganze beruht auf Empörung. Also braucht  man ein Thema, das möglichst viele Leute emotional sehen.
In meiner speziellen Blase hat das lange mit dem Thema "Wolf" funktioniert. Das nehme ich mal als Beispiel. Ich suche mir also eine extreme These, die Empörung hervorrufen wird, formuliere die mit nicht zu vielen und nicht zu schwierigen Wörtern. Dazu ein emotionales Bild oder eine Grafik. Gerne mit Scheinkorrelation oder verzerrenden Spielereien mit den Einheiten meiner Achsen im Diagramm.

"Der Wolf ist gar kein Problem."
Dazu formuliere ich mehr oder weniger deutlich
"Die Schäfer sind nur zu blöd/ zu faul".
Das teile ich dann in einer Schäfergruppe.
So als Schafhalter fühle ich mich da beleidigt. Angepisst. Empört. Also kommentiere ich: "So ne Scheiße! Das kann doch nur ein naturentfremdeter Balkonbiologe sagen!".

Wut rausgelassen! Beleidigung zurückgespielt! Andere tun das auch. "Jawoll! Alle blöd!". Die Empörung ist so groß, dass dieser blöde, beleidigende Beitrag geteilt wird. "Guckt mal, wie bekloppt die sind!"

Damit habe ich schon mal Reichweite. Super Sache, wenn deshalb auf meine Seite geklickt wird. Selbst, wenn ich da gar keine Werbung geschaltet habe.
Aber Outrage porn hört da nicht auf! Ich lasse die Leute schön ihre Empörung in emotionalen und entrüsteten (und deshalb oft beleidigenden) Kommentaren entladen. Und DANN nehme ich diese Kommentare und teile die auf einer anderen Seite. Bei Wolfsfreunden beispielsweise.

Da lese ich nun auch. Also jetzt nicht "ich, der ursprüngliche Beitragsersteller" und auch nicht "ich, der empörte Schäfer" sondern jetzt "ich der Biologe (ohne Balkon)". Und ich fühle mich beleidigt. Die Kommentare sind flach und garstig. Dass die originale Botschaft flach und garstig war, sehe ich genausowenig wie die Schafhalter, die darauf angesprungen sind. Also lasse ich meiner Empörung nun auch freien Lauf mit einem Kommentar und teile fleißig um zu zeigen, wie dumm DIE sind...

So kann man ganz bequem mit EINEM dämlichen Beitrag Empörung und Konter-Empörung und vermutlich Konter-Konter-Empörung auslösen!

Und wir fallen da (fast) alle drauf rein! Ich bin da empört! Und oft bin ich über Beitrag UND Kommentare gleichzeitig empört!

Als Politiker kann man das auch super ausnutzen. Statistik zu irgendwas mit Bäumen. (Nicht mit Zahlen. Nur so Tortendagramme oder so. Schön plakativ). Dazu nen eingängigen Satz, dass ja damals auch "so ein Theater wegen Waldsterben gemacht wurde. Und? Isser gestorben? Ne! Hysterie!"




Das bringt mir ein paar "jawoll". Wenn ich es geschickt platziere, brauche ich selber gar nicht direkt beleidigen, dann reicht eine dumme Aussage wie diese und ein Kommentator schreibt: "Genau! Darf man ja nicht sagen. Da wird man vom linksgrünversifften Pack zensiert."
Et Voilà! Los geht's. Der ein oder andere wird noch zu erklären versuchen, warum die Aussage des Originalbeitrags Pfeffer ist aber garantiert schreibt auch jemand "Au man! Ihr seid alle so blöd!"
Ihr? Alle? Empörung! Bei allen! Und Konter-Empörung.
Als Politiker brauche ich gar nix weiter sagen. Die eine Gruppe der Empörten denkt, ich würde ihre Meinung vertreten. (Ich sag Schtonk, Du sagst Jawoll, der Typ dadrüben sagt deshalb zu Dir Blödmann. Also da müssen Du und ich ja wohl auf einer Seite sein! Und der ist unser Feind!)

Ich lese immer wieder, wer alles die Leute spaltet. Ganz schlimmer Vorwurf! Das Volk spalten! Pfui! Nur sind es meist die, die diesen Vorwurf machen, die Spaltung sehen (und säen), wo nur verschiedene Meinungen und Prioritäten sind.

Darauf nicht hereinzufallen, ist gar nicht so einfach... wir reagieren halt alle auf Beleidigungen beleidigt.

Ich hab mich bisher noch nicht verleiten lassen, beleidigende Kommentare zu schreiben. Ich lass mich aber gerne verleiten, die Aussagen zu googeln, Statistikseiten zu befragen, nachzurechnen. Und dabei bin ich gerne mal empört.
Wenn es richtig blöd ist, kommt man übrigens mit wenigen Rückverfolgungsschritten oft zur AfD. Auch bei Themen, die man gar nicht mit denen in Verbindung bringt und die sie jetzt gar nicht so auf der Agenda haben. Outrage Porn ist immer gut. Da sind se dabei...

Was also tun? Für den eigenen Seelenfrieden ist "weiterscrollen" ziemlich gut. Andererseits ist es gut, in Blasen zu pieken. Das sollte man aber nicht beleidigend machen - damit verhärtet man die Sache nur. Und nicht mit langem Text. Und auch nicht, wenn da schon uffdundruffzig voll depperte Kommentare stehen. Dann ist der Drops gelutscht. Aber bei solchen Beiträgen aus dem eigenen "Freundeskreis" kann man oft - am Anfang - so kommentieren, dass aus Outrage Porn eine echte Diskussion wird. Und wenn man nur "das glaube ich nicht, weil..." kommentiert. Wenn es dann eine Diskussion wird, dann bekommt man gerne mal seine eigene Blase zerpiekst. Und das ist gut!

Wenn man selber findet, dass ein Meme irgendetwas wunderbar ausdrückt:
Ist es beleidigend/stellt es jemanden als Deppen dar? Ja?
Wenn man das unkommentiert will: Bitteschön. Da ist man selber als Teilender ein überheblicher Arsch und sollte sich ganz sicher sein, dass man da keinen Pfeffer teilt.

Will man aber eher Meinungen ändern, dann sollte man das nicht mir Überheblichkeit angehen! Da reicht dann schon ein kurzer einladender Kommentar zu dem Beitrag. Oder die Frage: Ist das so? Liege ich richtig damit, das gut zu finden?

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